Gedankenwelt Schwangerschaft

Geburtsbericht unserer ungeplanten (fast) Alleingeburt

Knappe 10 Wochen ist die Geburt unseres Sohnes her und die Gedanken an die Geburt begleiten mich auch jetzt noch fast täglich. Zwischendurch tauchen immer mal wieder Bilder vor mir auf und erinnern mich an kurze Momente während und nach der Geburt, die ich nicht nochmal erleben möchte. In anderen Momenten, vor allem wenn wir an der Stelle vorbeifahren, an der unser Sohn geboren ist, überkommt mich aber auch ein Gefühl von Stolz, denn sein Kind alleine im Auto zur Welt zu bringen, ist schon etwas ganz Besonderes.

Der 5. August 2018 war ein Tag, wie alle anderen Tage in den Wochen zuvor. Der errechnete Geburtstermin unseres Sohnes lag bereits 6 Tage zurück, was ein großes Wunder war, da uns bereits in der 23. Schwangerschaftswoche gesagt wurde, dass der kleine Mann viel zu klein und leicht ist, und er mit hoher Wahrscheinlichkeit viele Woche vor dem Termin geholt werden müsste.
Wie auch an allen anderen Tagen zeichnete das CTG keine Wehen auf – auch das war ein kleines Wunder, da ich vorher monatelang wegen vorzeitiger Wehen und einer Gebärmutterhalsverkürzung Bettruhe einhalten musste. Jedoch wurde uns mitgeteilt, dass der Muttermund bereits 4cm geöffnet sei. Uns wurde gesagt, dass das nicht unbedingt etwas bedeuten würde und wir sowieso am nächsten Morgen zur Geburtseinleitung wieder im Krankenhaus sein müssten.
Auch der restliche Tag verlief ohne irgendwelche Besonderheiten. Wir hatten noch Besuch von meinem Bruder, haben im Garten gearbeitet und sind eine Runde spazieren gegangen. Relativ spät abends habe ich unsere Tochter ins Bett gebracht und bin noch eine Weile neben ihr liegen geblieben, nachdem sie eingeschlafen war.

Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine unglaublich schmerzhafte Wehe auf. Kurz darauf war aber auch schon wieder Ruhe. Diese Ruhe kannte ich nicht, da ich bei der Geburt unserer Tochter keine Pausen zwischen den Wehen hatte, sondern nur sogenannte Wehenstürme. Nach der Wehe war ich dementsprechend wieder ziemlich entspannt…bis direkt danach die nächste Wehe kam. Schnell bin ich zu meinem Mann gegangen und habe ihm gesagt, dass wir um die Einleitung wohl herumkommen würden.

Noch recht zuversichtlich habe ich meine Eltern, die in Belgien wohnen, angerufen, und habe sie gebeten, loszufahren, da sie während der Geburt auf unsere Tochter aufpassen sollten.
Ungefähr 1 Stunde würden sie brauchen, bis sie bei uns ankommen würden.

Kurz nach dem Telefonat veränderte sich die Lage jedoch. Die Wehen kamen plötzlich mit einer solchen Intensität und so kurzen Abständen, dass mir direkt klar war, dass wir keine Stunde mehr warten könnten. Vom Kreißsaal bekamen wir die Info, dass wir uns besser auf den Weg machen und nicht auf einen Rettungswagen warten sollten, da wir so schneller im Krankenhaus ankommen würde. Also gab es eine Planänderung: Während ich unsere Tochter geweckt und angezogen habe, hat mein Mann meine Eltern informiert und zum Krankenhaus umgeleitet, wo sie unsere Tochter dann übernehmen sollten.

Noch bevor wir ins Auto gestiegen sind, wurden die Wehen so stark, dass ich schreien musste. Irgendwie habe ich mich auf den Beifahrersitz gehievt und wusste schon in diesem Moment, dass wir es wohl nicht ins Krankenhaus schaffen würden. Mein Mann war zu diesem Zeitpunkt noch ein bisschen zuversichtlicher und so fuhren wir los. 2 Straßen weiter mussten wir bereits wieder anhalten. Ich hatte das Gefühl, dass die Wehen mich zerreißen würden. Ich konnte mich nicht mehr hinsetzen und während ich im Vierfüßlerstand auf dem Sitz kauerte und unserer Tochter in der nächsten Wehenpause versicherte, dass alles in Ordnung sei, fuhren wir nochmal ein paar Straßen weiter. Mitten auf der einzigen Landstraße zwischen uns und dem Krankenhaus, war unsere Fahrt dann endgültig vorbei. Irgendwie schaffte ich es meinem Mann zu sagen, dass wir nicht mehr weiterfahren würden und dass er nun doch einen Krankenwagen rufen muss. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits die Presswehen eingesetzt.

Wie das in solchen Momenten immer der Fall ist, musste mein Mann die Straße entlang laufen, da unsere Handys kein ausreichendes Netz hatten. Die Verbing war so schlecht und gleichzeitig konnten wir keine genaue Adresse durchgeben, da wir nicht mal wussten, wie die Landstraße hieß.


Die nächsten Minuten sind für mich zeitlich nicht mehr greifbar. Während mein Mann mit der Notrufzentrale telefonierte, ertastete ich die Fruchtblase und den Kopf unseres Sohnes. Eine unglaubliche Angst kam in mir hoch. All die negativen Nachrichten der letzten Monate waren mir plötzlich ganz präsent. Wir waren zwar darauf vorbereitet, dass unser Sohn sehr leicht sein würde, aber wir waren in keinster Weise darauf vorbereitet, ihn alleine auf die Welt zu bringen. Wir hatten so viele Gespräche mit verschiedenen Ärzten, in denen uns immer wieder gesagt wurde, dass wir uns darauf einstellen sollten, dass es nach der Geburt zu Komplikationen kommen könnte. Eine Geburt im Geburtshaus wurde uns “verboten” und nun waren wir ganz alleine. Ich hatte eine solche Angst davor, dass unser Sohn möglicherweise nicht atmen würde und wir ihm nichtmal helfen könnten. Gleichzeitig war ich mit meinen Gedanken auch bei unserer Tochter, die genau hinter mir saß und alles, vor allem mein unglaublich lautes Schreien, mitbekam. In den kurzen Wehenpausen sagte ich immer wieder die Affirmationen auf, die mich schon viele Wochen vorher begleitet haben.

Dann, gerade als der Kopf unseres Sohnes geboren war, tauchten plötzlich Notarzt, Rettungswagen und Feuerwehr auf. Alles war plötzlich hell erleuchtet, mir wurde ein Zugang gelegt und ein ganzer Stapel an Decken wurde bereitgelegt. Immer noch schrie ich wie am Spieß, klammerte mich am Fahrersitz fest und biss in den Steuerknüppel hinein. Ich kann mich noch erinnern, dass der Notarzt mich gefragt hat, ob ich mich nicht auf die Liege legen möchte – mehr als ein sehr lautes “Nein” konnte ich darauf nicht antworten. Von allein Seiten hörte ich Stimmen die mir sagten, dass ich das super machen würde, während ich zur selben Zeit komplett abgeschaltet hatte und nur noch meinem Instinkt folgen konnte.

Und dann war er plötzlich da, unser Henri. Meine erste Frage war, ob er atmen würde, und dann hörte ich ihn auch schon schreien.
Von der ersten Wehe zuhause im Bett bis zu dem Moment, in dem wir Henri zum ersten Mal sahen, dauerte es genau 1 Stunde und 40 Minuten. Er ist mitten in der Nacht auf einer leeren Landstraße und im letzten Moment dann doch mit einem Arzt an unserer Seite zur Welt gekommen.


Wir wurden beide in den Rettungswagen gebracht, an Geräte angeschlossen und dann konnte ich unseren Sohn zum ersten Mal halten. Mein Mann, der noch Starthilfe von der Feuerwehr brauchte, da unser Auto nicht mehr anspringen wollte, fuhr mit unserer Tochter zum Krankenhaus und traf dort auf meine Eltern, die sich schon gefragt hatten, wo wir bleiben. Als Henri und ich zum Kreißsaal geschoben wurden, saßen sie dort gemeinsam mit unserer Tochter, die die Geburt ihres Bruders hautnah miterlebt hat.

Während es Henri auf den ersten Blick gut zu gehen schien, gab es bei mir plötzlich Probleme. Die Planzenta wollte sich nicht lösen, auch nicht mit Hilfe von Medikamenten. Dann setzten plötzlich sehr starke Blutungen ein, die sich nicht stoppen ließen und so wurde plötzlich alles ganz hektisch und ich musste in den OP.

Es gab aber auch unglaublich schöne Momente, allen vorran das erste Zusammentreffen unserer beiden Kinder. Emma war direkt hin und weg von ihrem kleinen Bruder und wollte sofort mit ihm kuscheln. Oder auch der Moment, in dem uns gesagt wurde, dass Henri 2760g schwer und 49cm groß ist – mehr, als wir gehofft hatten. Und für mich auch der Moment, in dem ich ihn zum ersten Mal angelegt habe.

Leider verschlechterte sich Henris Zustand in den darauffolgenden Stunden rasant und kurz nachdem wir unser Familienzimmer bezogen hatten, wurde er auf die Neugeborenen-Intensivstation verlegt – einer der schlimmsten Momente in meinem Leben. Nie zuvor, nicht mal während der Geburt, habe ich mich so hilflos gefühlt. Ich war ans Bett gefesselt und meinem Mann wurde verboten Henri zu begleiten. Als er endlich zu ihm durfte, war er verkabelt, seine winzigen Hände waren zerstochen, ein riesiger Zugang steckte in einer Hand, er hatte eine Magensonde und war an eine Atemunterstützung angeschlossen.

Vielleicht finde ich irgendwann die Kraft, über diese Zeit zu berichten – momentan schaffe ich das jedoch noch nicht. Der Schmerz sitzt einfach noch zu tief und alleine die Gedanken an die Zeit, an die Trennung von unserem Sohn und an das Kämpfen, ihn stillen zu dürfen, bringen mich direkt zum Weinen.

Auch wenn ich während der Geburt eine enorme Angst verspürt habe, hatte sie trotzdem auch sehr positive Seiten. Nach der traumatischen Geburt unserer Tochter wollte ich nie wieder ein Kind im Krankenhaus zur Welt bringen. Ich habe mir eine selbstbestimmte Geburt ohne Medikamente gewünscht, wollte definitiv nicht noch mal auf dem Rücken liegend entbinden und wollte auch keinerlei Infos zum Muttermund o.ä. bekommen.
All diese Wünsche gingen in Erfüllung, wenn auch ganz anders als gedacht oder geplant.

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3 Comments

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    Fräulein Rucksack
    14. Oktober 2018 at 21:19

    Wie verrückt! Als ich gesehen hatte dass Jobina Schenk auch eine Anleitung für Autogeburt verfasst hat konnte ich nicht glauben dass das jemand anschaut. Nach Deinem Bericht will ich nun jeder Schwangeren dazu raten. :o)
    Wie hat Emma alles verarbeitet? War es nicht auch toll für sie zu hören wie alle Dich lobten/ermutigten?
    Alles Liebe euch!

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    Düse
    14. Oktober 2018 at 23:15

    Wow, jetzt habe ich Gänsehaut.
    Ein toller Geburtsbericht und ein unglaublicher Start ins neue Leben.

    Ich wünsche euch alles Liebe und nehmt euch alle Zeit der Welt, eure Erlebnisse zu verarbeiten. ❤

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    Moana
    15. Oktober 2018 at 14:34

    Oh, als ich deinen ersten Post im Instagram las, dachte ich schon, wow, wie stark, dass ihr das geschafft habt. Und jetzt wieder: ich wünsche euch alles erdenklich gute für die Geburt. Es ist zwar schlecht, kurz vor der eigenen Geburt selbst so was zu lesen aber ich gehe mal positiv daran 🙂 liebe Grüsse Moana

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